Vom Konstruktionsprinzip
...des Captains
Die Figur „Captain Future“ bezieht ihre Charme daraus, dass dieser nicht nur ein hervorragender Wissenschaftler ist, weil er nämlich eine exzellente Ausbildung genossen hat und seine „Fälle“ daher „mit Köpfchen“ lösen kann, sondern dass er nebenbei auch kämpfen kann wie ein Profi, den Wagemut eines Draufgängers besitzt und stets bereit ist, sich für eine gute Sache einzusetzen. Kurzum – er ist ein Allround-Talent, ein Universal-Genie, das keinem Problem aus dem Weg geht, sich dabei jedoch meist ruhig und besonnen verhält – meistens jedenfalls. Future wirkt sehr souverän auf seine Leser/Zuschauer (Ralf Sander bezeichnete es in seinem Artikel mal als eine Art „heiligen Ernst“(1)), und dass er durch die genannten Eigenschaften übergroß wirkt, sprich: „larger than life“ daherkommt – das hat er übrigens mit der Comic-Figur „Superman“ gemein – (2),(3), ist gewollt und fundamentaler Bestandteil des Konzepts dieses Charakters. Einher mit dieser „Übergröße“ geht die Tatsache, dass der Captain genauso wie der „Mann aus Stahl“ eine Art „oberste Instanz“ darstellt, eine „Autorität“, die über den Dingen steht und an die man sich wendet, wenn alle anderen Stricke reißen: So hat Hamilton ihn beschrieben, und genau so lieben wir ihn.
Wir lieben ihn andererseits aber auch dafür, dass er abseits dieser heldenhaft übergroßen, ernsten Charakterzüge auch wiederum sehr menschlich sein kann, denn so zeigt Toei Animation ihn uns (mehr als Hamilton das tut). Während die Romane der 1940er Jahre sich nämlich, dem damaligen Zeitgeist entsprechend, auf das Heroische konzentrieren und dies in zackige Worte fassen (4), wird im Animé dagegen mehr Wert auf emotionale Facetten gelegt: So erleben wir z. B., wie Future in der Geschichte mit den „Elektromenschen“ sehr unsanft an seine Grenzen stößt… Dazu kommen einige nette kleine Szenen der Interaktion mit seiner Mannschaft, die in Deutschland leider der Schere zum Opfer gefallen sind, aber vor allem auch der Umgang mit Agentin Joan Landor, in die er sich verliebt hat (und sie sich in ihn): Toei hat die sich anbahnende Beziehung zwischen ihm und Joan deutlicher in den Vordergrund gerückt. Wir erleben hier einen sympathischen, nahbaren Captain, der – genau wie Joan selbst – seine Gefühle und Grenzen erst ausloten muss, wobei das nicht auf die merkwürdig hölzerne Art und Weise der deutschen Synchro geschieht (die auch unter der Verstümmelung der Folgen leidet), sondern einfach nur schlichtweg „normal“ (5): Wenn es um die Angelegenheiten des Herzens geht, ist der Held bei Toei eben auch nur ein ganz normaler Mann.
Zwar finden sich auch im Animé Anzeichen einer eher unangenehmen Heldenverehrung (z. B. im „Kampf um die Gravium-Minen“ oder auch im hierzulande nie gesendeten Special „Sternstraße zum Ruhm“), doch insgesamt wird in der TV-Serie Zwischenmenschliches in Bezug auf Future ansprechend bebildert – auf eine sympathische Art und Weise und sehr „down-to-earth“.
Aus diesem Spannungsfeld zwischen absoluter Professionalität und nahbarer Menschlichkeit heraus erwächst denn auch die Sympathie für diesen Charakter: Zum einen, weil er nun mal viel größer ist als wir und wir vermutlich gerne so wären wie er, aber andererseits auch, weil er im zwischenmenschlichen Bereich eben genau so ist wie wir. Das erdet diese Romanfigur, die sonst aufgrund ihrer Größe und Überlegenheit schnell langweilig werden würde, und es gibt uns obendrein Hoffnung, denn wenn selbst die Großen dieser (wenn auch fiktiven) Welt zumindest in einigen wenigen Aspekten genauso ticken wie wir, fühlen wir uns nicht mehr ganz so klein, banal und unwichtig.
...und der Serie
Es ist aber nicht nur der charismatische Hauptcharakter, der die Faszination für die Serie begründet. „Man kann, lehrt Hamiltons Werk, die Science-Fiction […] auch als unerschöpfliches Reservoir von Gedankenbildern reinen Staunens (“Sense of Wonder“) [denken]“, schreibt Dietmar Dath in seinem FAZ-Artikel „Das Sternenkind in Syntheseide“ (6): Das ist nämlich ein weiterer Aspekt der Captain-Future-Serie – eine positive Zukunft zu zeigen, eine Utopie zu entwerfen, ein Zukunftsmärchen, in dem Charaktere wie der Captain unter Einsatz überragender wissenschaftlicher Fähigkeiten und Technik dafür sorgen, dass der böse Spuk ein Ende nimmt und schließlich alles gut wird. Wir als Leser dürfen ihnen dabei staunend über die Schulter schauen: Das war schon den Pulps der 1940er Jahre zu eigen, und genau dieses Staunen hat auch Toei gekonnt in seiner Animationsserie eingefangen und umgesetzt. Dazu braucht es eben diesen übergroßen Charakter, diesen „weißen Ritter“ in seinem (Raum-)Anzug, von dem man in der TV-Serie nicht so recht weiß, ob es einfach ein Raumanzug oder eine Art „Rüstung“ ist: Einen Hoffnungsträger. Das „S“ in Supermans Logo wurde 2003 als ein kryptonisches Symbol für „Hoffnung“ etabliert (7) – denselben Inhalt könnte man getrost auch auf das „F“ im Sechseck übertragen und läge damit nicht falsch.
Hinzu kommt, dass man bei Toei nicht nur die charakterlichen Eigenschaften, sondern auch die Optik entsprechend gestaltet hat: Trotz seines eher ernsten Blicks, der auf die sehr tief liegenden Augenbrauen zurückzuführen ist und eine Anspielung auf die etwas grimmige Ernsthaftigkeit des Captains der Hamilton’schen Originalromane darstellen mag (8), entwickelt man als Zuschauer sofort Sympathie für diesen Rotschopf. Dieselben Emotionen wecken auch Joan und die restlichen Mitglieder der Future-Mannschaft... Gerade Joan und CF entsprechen in ihrer Physiognomie zwar den Stereotypen der damaligen japanischen Zeichentrickwelt (recht ähnliche Darstellungen von Gesichtern finden sich auch in anderen Serien), doch irgendwie haben es die Zeichner bei Toei Animation geschafft, beide so zu modellieren, dass sie aus der Masse herausstechen, und gerade bei Future gelingt es ihnen, das dem Charakter in den Pulps zu eigene Charisma einzufangen und zu transportieren. Das an „Star Wars“ und „2001: A Space Odyssey“ erinnernde Design des Future-Universums besorgt dann den Rest.
Letztendlich ist es die Mixtur aus allem genannten, die uns damals „angefixt“ hat: Das Utopisch-Märchenhafte (9) zum einen, repräsentiert durch die epischen Settings und die fantastischen Technik, beides im Verbund mit der Hoffnung auf den Sieg des Guten, zum anderen das Konstruktionsprinzip „Größe“ auf Seiten des Hauptcharakters und schließlich das (An)erkennen von Größe auf Seiten der Zuschauer/Leserschaft: So funktionieren diese Geschichten, so funktioniert diese Romanfigur nun mal.
Und während Superman seine Rolle als Verfechter des Guten quasi erst erkämpfen musste, da er in den Anfängen seiner Abenteuer durchaus als bedrohlich empfunden wurde (10) und seinen „code of conduct“ erst Ende 1940 erhielt, ist das beim Captain von vorneherein klar: Hier hat man es mit einem Aufrechten zu tun, der mit den Behörden kooperiert, mit jemandem, der seine Fähigkeiten ähnlich wie der „Mann aus Stahl“ stets zum Wohle der Menschheit einsetzt... Das ist natürlich klischeehaft (11). Es ist andererseits aber auch wohltuend, und vielleicht ist das auch der Grund, warum Charaktere wie Superman oder eben auch Captain Future trotz ihres zeitlichen Ursprungs in den (späten) 1930er Jahren selbst heute immer noch ihre Anhänger finden: Solche Geschichten sind universell.
Fußnoten / Quellen
Ralf Sander, 08.09.2003 (Stern.de), „Captain Future - Mein liebster Weltenretter“ – zum Artikel
Beide Charaktere „leben“ von ihrer Überlegenheit gegenüber dem Rest der Welt: Während der Kryptonier aufgrund seiner Herkunft über Superkräfte verfügt (die gelbe Sonne unseres Systems macht's möglich), ist bei Future die Ursache dafür ein jahrelanges intensives Training, das seine Fähigkeiten perfektioniert hat und ihn damit über die Masse der Bewohner des Sonnensystems hebt. Dies bedingt notgedrungen auch einen gewissen Abstand zur Umwelt (in Bezug auf den Job)
Normalerweise denkt man hier ja zuerst einmal an Batman: Genau wie dieser wurde Future über den Tod der Eltern zu einer Art „Rächer“, und in den Pulpromanen wird er ebenfalls wie der Dark Knight über ein Lichtsignal gerufen (dieses wird vom Nordpol abgestrahlt)
siehe hierzu die Sektion „Future und Joan“, Referenzen Nr. 12, 13 und 14
Etwaige psychische Störungen lassen sich bei Hamiltons Beschreibungen des Charakters nicht finden (dementsprechend stellt Toei ihn logischerweise auch völlig normal dar)
Dietmar Dath, 02.10.2011 (Stern.de), „Comic-Legende ‚Captain Future‘ – Das Sternenkind in Syntheseide“ – zum Artikel
Mark Waid, „Superman: Birthright“, 2003 - 2004, ISBN 1-4012-0251-9
...wobei sich die dunkle Augenfarbe im ursprünglichen Originalkonzept findet, siehe auch PulpGen.com
Einige der Eckpunkte, die den Text-Typ „Märchen“ charakterisieren, finden sich auch hier (kontrastierende Charaktere (gut - böse), Magie (hier: an Magie grenzende Technik und Wissenschaft), und nicht zuletzt der Sieg des Guten über das Böse). Des weiteren unterstreicht die Erzählung von der Rettung des Planeten Tarast den märchenhaften Aspekt noch: Die Sage vom Helden, der in Zeiten höchster Not zurückkehren wird, um sein Volk zu retten, erinnert gewissermaßen an die von König Barbarossa oder König Artus
In den ersten Originalgeschichten von Siegel und Shuster war Superman durchaus aggressiv, scheute exzessive Gewalt nicht und tötete auch schon mal den einen oder anderen Gegner... Anfangs sahen die Behörden in ihm deshalb auch eher einen 'Vigilanten' (jemand, der Selbstjustiz übt) denn einen Helfer. Ende 1940 implementierte Editor Whitney Ellsworth schließlich einen „code of conduct“ für den Charakter; das heutige Bild von Superman ist das eines gütigen, aufrechten Helden mit einem starken Gerechtigkeitssinn. Siehe auch en.wikipedia.org
...wobei „klischeehaft“ nicht mit „eindimensional“ gleichzusetzen ist – der Charakter hat durchaus Tiefe, wozu es allerdings keines Kaspar-Hauser-Syndroms noch sonstiger angedichteter angeblicher psychischer Störungen bedarf